Wird Iran zur Erbmonarchie? Mojtaba Khamenei greift nach der Macht

Der iranische Revolutionsführer Ayatollah Ali Khamenei ist 82 Jahre alt und scheint gesundheitlich angeschlagen zu sein. Nun will sich sein Sohn als Nachfolger in Position bringen. Doch der Hardliner ist umstritten, und eine dynastische «Thronfolge» wäre riskant.

Wilfried Buchta
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Über die Gesundheit von Irans Revolutionsführer Ayatollah Ali Khamenei wird schon seit Jahren spekuliert. Wer ihm im Fall seines Todes nachfolgt, ist ungeklärt.

Über die Gesundheit von Irans Revolutionsführer Ayatollah Ali Khamenei wird schon seit Jahren spekuliert. Wer ihm im Fall seines Todes nachfolgt, ist ungeklärt.

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Die Stabilität diktatorischer Regime bemisst sich vor allem an zwei Faktoren: erstens an der Gesundheit des obersten Regimeführers und dessen Fähigkeit zur Ausübung seines Amtes. Und zweitens daran, ob die Machteliten den Machttransfer zum Nachfolger in einer Weise geregelt haben, um zerstörerischen Machtkämpfen vorzubeugen. Das gilt auch für die Islamische Republik Iran, hinter deren republikanischer Fassade ein klerikaler Revolutionsführer steht, der gemäss der religiösen Lesart seiner Anhänger stellvertretend für den Mahdi, den von den Schiiten erwarteten Messias, die höchste Macht im Staat ausübt.

Irans heutiger Revolutionsführer, Ayatollah Ali Khamenei, wurde 1989 vom Expertenrat, einem Gremium aus 88 Klerikern, zum Nachfolger des verstorbenen Ayatollah Khomeiny gewählt. Der Gesundheitszustand des 82-jährigen Khamenei gibt seit Jahren Rätsel auf. Allerdings erwiesen sich bisher alle Gerüchte über sein baldiges Ableben als falsch. Gesichert ist nur, dass er an einem relativ gut behandelbaren Prostatakarzinom leidet. Seit kurzem gibt es auch das Gerücht, Khamenei habe verstärkt mit Herzproblemen und Wasser in der Lunge zu kämpfen.

Mojtaba erhebt offen Anspruch auf die Führung

Parallel dazu mehrten sich Berichte der iranischen Exilopposition, Khamenei habe begonnen, seinem Sohn Mojtaba, der grauen Eminenz im Büro des Revolutionsführers, einen Grossteil seiner Kompetenzen in der wichtigsten Schaltzentrale des Regimes zu übertragen. Mitten in diese von Gerüchten und Ängsten geschwängerte Atmosphäre platzten nun Mitte Januar mehrere Fotos und Videos in den sozialen Netzwerken in Iran, die darauf hindeuten, dass der Kampf um die Nachfolge von Khamenei an Heftigkeit gewonnen hat.

Khamenei wurde 1989 zum Nachfolger des verstorbenen Staatsgründers Khomeiny gewählt. Schon damals führte der Machttransfer zu schweren Verwerfungen im Regime.

Khamenei wurde 1989 zum Nachfolger des verstorbenen Staatsgründers Khomeiny gewählt. Schon damals führte der Machttransfer zu schweren Verwerfungen im Regime.

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Auf den Aufnahmen sind Arbeiterkolonnen zu sehen, die auf der Strasse der Revolution, einer der zentralen Verkehrsachsen Teherans, an Laternen, Ampeln und Stromkästen Tausende von Propagandaplakaten mit den Konterfeis von Ali Khamenei und Mojtaba, seinem zum Lager der Hardliner gerechneten Sohn, kleben. Was aber die unerhörte politische Brisanz der Flugblätter ausmacht, ist ihr zentraler Slogan mit dem arabischen Ausspruch «Labaika, ya Mojtaba» – zu Deutsch «Oh Mojtaba, wir folgen dir!».

Einige der Plakate mit Ali Khamenei und seinem Sohn Mojtaba in Teheran.

Einige der Plakate mit Ali Khamenei und seinem Sohn Mojtaba in Teheran.

Die jedem Muslim vertraute Formel «labaika» ist von hoher Symbolkraft und wird üblicherweise bei dem Hajj von Pilgern vor dem Eintritt in die heilige Stadt Mekka als Geste der Treue und Hingabe gegenüber der Allmacht und Führerschaft Allahs rezitiert. Im iranischen Kontext kommt die Plakataktion einem Paukenschlag gleich, bestätigt sie doch die schon seit Jahren in Iran wie auch in den Kreisen der iranischen Exilopposition kursierende Vermutung, Mojtaba wolle um jeden Preis das Amt seines Vaters übernehmen.

Was wusste Khamenei von der Plakataktion?

«Die Plakate legen den Schluss nahe, dass Mojtaba nicht auf eigene Faust gehandelt, sondern sich zuvor das Einverständnis des Vaters gesichert hat», meint Mehran Barati vom Iran Transition Council (ITC), einem Zusammenschluss demokratischer Oppositionskräfte. «Das beweist: Khamenei und die Mitglieder des Revolutionsführerbüros haben sich auf Mojtaba als neuen Revolutionsführer festgelegt und nun begonnen, die Bevölkerung darauf vorzubereiten und einzustimmen, nach Khameneis Tod oder seinem freiwilligen Amtsverzicht Mojtaba Gefolgschaft zu leisten.»

Erwartungsgemäss stiessen Mojtabas erstmals offen verkündete «Thronansprüche» auf den Widerstand anderer Flügel der Regime-Elite. Die Reformer, welche die Teheraner Stadtverwaltung dominieren, konterten schnell und wiesen die lokalen Polizeikräfte an, die Plakate binnen 24 Stunden abzureissen und die Plakatkleber zu verhaften und zu verhören. In den Verhören entpuppten sich die Arbeiter als arme Tagelöhner, die für wenig Geld von einer lokalen Teheraner Einheit der Basij-Miliz angeheuert worden waren.

Mojtaba scheut das Licht der Öffentlichkeit

Aber wer ist Mojtaba Khamenei? Und welche Chancen auf die Nachfolge hat er? Geboren 1969 in Mashhad, ist er der zweitälteste der drei Söhne Khameneis. Innerhalb der Nomenklatura Irans ist er einer der am schwersten greifbaren Schattenfürsten, jemand, der nie ein öffentliches Amt angestrebt und das Agieren im Dunkel der Geheimdienstapparate dem grellen Licht der Öffentlichkeit vorgezogen hat. So erklärt sich, dass nur wenige gesicherte biografische Daten, persönliche Details und Fotos von ihm im Umlauf sind.

Über Mojtaba Khamenei sind kaum biografische Details bekannt. Dieses Foto vom Al-Kuds-Tag in Teheran im Mai 2019 ist eine der wenigen Aufnahmen des konservativen Klerikers.

Über Mojtaba Khamenei sind kaum biografische Details bekannt. Dieses Foto vom Al-Kuds-Tag in Teheran im Mai 2019 ist eine der wenigen Aufnahmen des konservativen Klerikers.

Rouzbeh Fouladi / Imago

Gewiss ist nur, dass er aus anderem Holz geschnitzt ist als seine beiden Brüder, Massud und Mostafa, die sich allein religiösen Studien widmen und die Öffentlichkeit wie auch die Übernahme politischer Funktionen im Büro ihres Vaters meiden. Ab 1988 diente Mojtaba mit seinem Bruder Mostafa zwei Jahre in den Streitkräften und nahm danach seine religiösen Studien auf; erst in Teheran und ab 1999 in den Seminaren von Qom, dem theologischen Zentrum Irans, wo er Schüler von Ayatollah Mohammad Mesbah-Yazdi wurde.

Damit geriet Mojtaba in den Bannkreis eines der einflussreichsten schiitischen Geistlichen Irans, der sich einen Namen als theologisch-ideologischer Schutzpatron der Ultra-Hardliner gemacht und wegen seiner radikalen Ansichten zahlreiche Kontroversen entfacht hat. So forderte der Anfang Januar verstorbene Mesbah-Yazdi, die gewählten republikanischen Institutionen abzuschaffen und die Funktionen von Parlament und Präsident dem Revolutionsführer zu übertragen. Damit würde Iran vollends zu einer totalitären Theokratie.

Mojtabas religiöser Status ist gering

Doch allzu weit sind Mojtabas Religionsstudien nicht gediehen. Bis heute hat ihm keiner der führenden Grossayatollahs in Qom eine theologische Lehrbefugnis und damit den Rang eines Ayatollah verliehen. Dass er nicht mehr Zeit für seine Studien fand, ist kein Wunder, so sehr, wie er beim Aufbau und bei der Erweiterung des Büros seines Vaters in Anspruch genommen wurde. Bestand das Büro des Revolutionsführers beim Tod Khomeinys 1989 noch aus rund 80 Mitarbeitern, stieg ihre Zahl bis 2019 auf etwa 4000.

Das Führerbüro wurde zum Zentrum eines hochkomplexen Systems aus über hundert Organisationen. Ihre Leiter sind nur Khamenei und nicht der Regierung rechenschaftspflichtig. Khamenei ist beständig damit beschäftigt, dieses System durch Divide-et-impera-Taktiken zu stabilisieren und Interessengegensätze auszutarieren. Innerhalb dieses Labyrinths hat sich Mojtaba zwei Machtzentren geschaffen: den Sektor der siebzehn Geheimdienste und den Propagandaapparat, darunter das einflussreiche Direktorat der Freitagsprediger und die Staatsmedien.

Mojtaba Khamenei hat auch viele Gefolgsleute unter den Freitagspredigern, die als Vertreter des Revolutionsführers in den Provinzen grossen Einfluss haben.

Mojtaba Khamenei hat auch viele Gefolgsleute unter den Freitagspredigern, die als Vertreter des Revolutionsführers in den Provinzen grossen Einfluss haben.

Rouzbeh Fouladi / Imago

Von diesen Machtzentren aus, die Mojtaba mit einer Generation von jüngeren, etwa gleichaltrigen Gefolgsmännern besetzt hat, baut er systematisch seinen Einfluss aus. Es soll Mojtaba gewesen sein, der Khamenei bei den Präsidentschaftswahlen 2005 davon überzeugte, den Kandidaten der Hardliner, Mahmud Ahmadinejad, zu unterstützen. Als dieser bei seiner Wiederwahl 2009 durch die Manipulation der Wahlergebnisse breite Volksproteste auslöste, war es wiederum Mojtaba, der ihre gewaltsame Unterdrückung organisierte.

Reich, mächtig und äusserst unbeliebt

Die enge Kooperation mit Ahmadinejad zahlte sich für Mojtaba aus, insbesondere beim Ölschmuggel. So soll ein daraus gespeistes Konto mit 1,6 Milliarden Dollar in London, das die britische Regierung 2009 wegen der Niederschlagung der Proteste in Iran schliessen liess, Mojtaba gehört haben. Heute gilt er als einer der reichsten Männer des Regimes, der, gestützt auf das Imperium des Führerbüros, skrupellos die Ressourcen des Staates für seine politische Agenda ausnützt.

In der iranischen Bevölkerung ist der ehrgeizige Mojtaba sehr unbeliebt. Und auf welches Ziel sich sein Ehrgeiz richtet, wissen die Iraner auch, wie einer der Slogans bei den im November 2019 blutig niedergeschlagenen Sozialprotesten beweist. Die Menge skandierte damals regelmässig: «Stirb, Mojtaba, so dass du nicht Revolutionsführer wirst!» («Mojtaba bemiri, ke rahbari-ra nabini.»)

Nur noch wenige Kandidaten im Rennen

Mojtabas Name fällt seit Jahren immer wieder, wenn es um die Nachfolge Khameneis geht. Zwei weitere, noch vor drei Jahren aussichtsreiche Kandidaten gelten inzwischen als chancenlos. Der eine ist der gegenwärtige Staatspräsident Hassan Rohani, der den Moderaten zugerechnet wird. Der andere ist der Khomeiny-Enkel Hassan Khomeiny, der zu den Reformern gehört. Der Kurator des Khomeiny-Schreins in Teheran zehrt vom nostalgischen Nimbus seines Grossvaters, verfügt aber über keine bedeutende Machtbasis.

Rohani kann zwar auf das einflussreiche Geheimdienstministerium als seine stärkste Machtbasis zählen, hat aber aufgrund des eingefrorenen Atomabkommens in der Bevölkerung enorm an Rückhalt und Popularität verloren. Die von Rohani versprochene Friedensdividende in Form einer Belebung und Stärkung der Wirtschaft blieb aus, was seine Position in der zunehmend verarmten Bevölkerung schwächte.

Der Justizchef Ebrahim Raisi (links) gilt als aussichtsreicher Kandidat für die Nachfolge Khameneis. Die Position von Präsident Hassan Rohani (Zweiter von links) ist dagegen geschwächt.

Der Justizchef Ebrahim Raisi (links) gilt als aussichtsreicher Kandidat für die Nachfolge Khameneis. Die Position von Präsident Hassan Rohani (Zweiter von links) ist dagegen geschwächt.

Khamenei.ir/Imago

Neben Mojtaba gelten als aussichtsreiche Kandidaten Ebrahim Raisi, ein 2018 von Khamenei zum Chef der Judikative ernannter klerikaler Hardliner mit guten Verbindungen zu den Revolutionswächtern, und Sadeq Larijani. Larijani war vor Raisi zehn Jahre lang Chef der Judikative und leitet seit 2018 den Feststellungsrat, ein am Gesetzgebungsprozess beteiligtes Gremium, das stark an Macht verloren hat und nur noch als Verschiebebahnhof für abgehalfterte Spitzenpolitiker dient.

Der Larijani-Clan ist geschwächt

Larijani, der den moderaten Konservativen zugerechnet wird, hat eine beachtliche Machtbasis unter den regimetreuen schiitischen Klerikern in Qom und verfügt mit seinen vier Brüdern über ein gewaltiges Firmen- und Immobilienimperium. Letzteres bildet aber ein willkommenes Angriffsziel für Mojtaba. Mit der Hilfe von Hossein Tayeb, dem Leiter des Geheimdiensts der Revolutionswächter, konnte Mojtaba etliche mit Wirtschaftskriminalität und Korruption verbundene Ermittlungsdossiers zusammenstellen.

Auf ihrer Grundlage wurde im vergangenen Herbst eine Serie von Prozessen gegen Sadeq Larijani und seine engsten Mitarbeiter aus seiner Zeit als Chef der Judikative angestrengt, die ihn erheblich belasteten. Erst ein Machtwort Khameneis brachte Mojtabas Attacken zum Stehen. Der Revolutionsführer fürchtete wohl, dass der Larijani-Clan zur Bedrohung werden könnte, sollte er in die Enge gedrängt werden. Gleichwohl gilt Sadeq Larijani seither als politisch angeschlagen und im Ringen um Khameneis Nachfolge als geschwächt.

Die Revolutionswächter sind heute eine einflussreiche Macht hinter Khamenei. Bei der Bestimmung eines Nachfolgers werden die Militärs eine gewichtige Stimme haben.

Die Revolutionswächter sind heute eine einflussreiche Macht hinter Khamenei. Bei der Bestimmung eines Nachfolgers werden die Militärs eine gewichtige Stimme haben.

Official Khamenei Website

Noch ist ungewiss, ob sich der Expertenrat im Falle von Khameneis Tod oder seiner Amtsunfähigkeit für Raisi oder Mojtaba entscheiden würde. Die Exilopposition und auch viele Iraner im Land unterstellen Khamenei, seinen Sohn als «Kronprinzen» aufzubauen. Bisher hat er aber darauf verzichtet, ihn offiziell als Nachfolger zu präsentieren. Davor bewahrte ihn wohl politische Klugheit. Denn sein Sohn ist so unbeliebt und umstritten, dass seine Designierung als Nachfolger einen erbitterten Machtkampf lostreten würde.

Eine dynastische Erbfolge wäre riskant

Zudem spricht gegen Mojtaba, dass er keine Regierungserfahrung hat und nie ein hohes öffentliches Amt bekleidet hat. Vor allem aber liefe Khamenei mit der Favorisierung seines Sohnes Gefahr, die Legitimität des Amts des Revolutionsführers irreparabel zu beschädigen. Es war ja gerade der Kampf für die Abschaffung der Schah-Monarchie, der der Revolution von 1979 ihre Identität verlieh. Mit der Einführung einer dynastischen Erbfolgeregelung würde die Islamische Republik de facto zu einer klerikalen Erbmonarchie.

Offen bleibt, warum Mojtaba gerade jetzt seinen «Thronanspruch» anmeldet. Ist an den Gerüchten über den rapiden Verfall von Khameneis Gesundheit doch etwas dran? Handfeste Beweise dafür gibt es nicht. Klar ist jedoch, dass es nichts Gutes verheissen würde, sollte sich Mojtaba, gestützt auf die Autorität seines Vaters, bei der «Thronfolge» durchsetzen. Da er nicht auf Reform, sondern auf Repression setzt, würden für Demonstranten, Journalisten und Dissidenten noch dunklere Zeiten anbrechen.

Zudem dürfte er alles daransetzen, rivalisierende Fraktionen zu entmachten und ihrer Pfründe zu berauben. Das würde zu erheblichen Spannungen führen, zumal Mojtaba die Fähigkeiten seines Vaters zum Taktieren, Ausgleichen und Abwarten abgehen. Vielmehr scheint Mojtaba die Maxime Machiavellis verinnerlicht zu haben, wonach sich Macht und Stabilität leichter bewahren lassen, wenn das Volk seinen Herrscher fürchtet, als wenn es ihn liebt.

Dr. Wilfried Buchta ist Islamwissenschafter und Experte für Iran und den Irak. Zuletzt erschienen von ihm «Die Strenggläubigen» und «Terror vor Europas Toren».